STRINDBERGS WERKE
DEUTSCHE GESAMTAUSGABE

HEIRATEN

AUGUST STRINDBERG

HEIRATEN

ZWANZIG EHEGESCHICHTEN

VERDEUTSCHT VON
EMIL SCHERING

1920
GEORG MÜLLER VERLAG MÜNCHEN

Deutsche Originalausgabe gleichzeitig mit derschwedischen Ausgabe unter Mitwirkung vonEmil Schering als Übersetzer vom Dichter selbstveranstaltet. Geschützt durch die Gesetze undVerträge. Alle Rechte vorbehalten. Den Bühnengegenüber Manuskript. Copyright 1909 by GeorgMüller Verlag, München. Gedruckt im MünchnerBuchgewerbehaus M. Müller & Sohn, München.

32. bis 36. Tausend.

Asra

Als die Mutter starb, war er dreizehn Jahre alt.Es war ihm, als habe er einen Freund verloren,denn während des Jahres, in dem die Mutter krankzu Bett lag, hatte er ihre persönliche Bekanntschaftgemacht, was Eltern und Kinder so selten tun. Erwar nämlich früh entwickelt und hatte einen gutenKopf; er las viel mehr als die Schulbücher, dennsein Vater, der Professor der Botanik an der Akademieder Wissenschaften war, besass eine guteBibliothek. Doch die Mutter hatte keine Erziehunggenossen, sondern war in ihrer Ehe die erste Haushälterindes Mannes gewesen und die Pflegerin dervielen Kinder. Als sie jetzt mit neununddreissigJahren bettlägerig wurde, nachdem sie ihre Kräftedurch die vielen Geburten und die vielen Nachtwachen(sie hatte seit sechzehn Jahren keine Nachtmehr durchgeschlafen) erschöpft hatte, und sich mitdem Haushalt nicht mehr befassen konnte, machtesie die Bekanntschaft ihres zweiten Sohnes; derälteste war Kadett und nur Sonntags zu Hause.

Da sie aufgehört hatte, Hausmutter zu sein und nurnoch Patientin war, verschwand dieses altmodischeVerhältnis der Disziplin, das sich immer zwischenEltern und Kinder stellt. Der dreizehnjährige Sohnsass fast immer an ihrem Bett, wenn er nicht inder Schule war und nicht an Schulaufgaben arbeitete,und las ihr dann vor. Viel hatte sie zu fragen undviel hatte er zu erklären; dadurch fielen zwischenihnen diese Gradzeichen, die Alter und Stellung errichten;sollte einer durchaus der Überlegene sein,so war es der Sohn. Aber die Mutter hatte ausihrem vergangenen Leben viel zu lehren, und sowaren sie abwechselnd Lehrer und Schüler. Siekonnten schliesslich über alles sprechen. Und derSohn, der sich im Anfang der Mannbarkeit befand,erhielt über das Mysterium der Fortpflanzung mancheAufklärung, und zwar mit der Feinfühligkeit derMutter und der Schamhaftigkeit des andern Geschlechts.Er war noch unschuldig, hatte aber inder Schule viel gehört und gesehen, das ihn anwiderteund empörte. Die Mutter erklärte ihm alles,was erklärt werden konnte; warnte ihn vor dem gefährlichstenFeind der Jugend und nahm ihm einheiliges Versprechen ab, dass er sich niemals werdeverleiten lassen, schlechte Frauen zu besuchen, nichtein Mal aus Neugier, denn niemand könne sich insolchen Fällen auf sich verlassen. Und sie verwiesihn auf eine mässige Lebensweise und auf den Verkehrmit Gott im Gebet, wenn die Versuchung anihn herantrete.

Der Vater ging ganz auf im selbstsüchtigen Genussseiner Wissenschaft, die für seine Frau ein verschlossenesBuch war. Er hatte, gerade als dieMutter

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