Leipzig,
Verlag von J. J. Weber.
1849.
Das preußische Cultusministerium hat mich durch den Auftrag geehrt, ihmmeine Ansichten mitzutheilen: welche Gestaltung dem Theater zu gebensei, um es, zu einem gedeihlichen Wirken, in Uebereinstimmung mit denübrigen Künsten zu setzen.
Dieser Auftrag hat mich zur Abfassung der vorliegenden Schriftveranlaßt. In dem Glauben, daß sie von zeitgemäßem und allgemeindeutschem Interesse sei, übergebe ich sie hiermit der Oeffentlichkeit.
Dresden, im December 1848.
Eduard Devrient.
Noch in keinem Momente des Völkerlebens ist die höhere Sendung derKünste zur Veredlung des Menschengeschlechtes so leuchtendhervorgetreten, hat sich noch nie zu so kräftiger, tiefgreifenderWirkung angeboten, als in der großen Wendung unserer Tage.
Schule und Kirche, die bisher allein anerkannten Erziehungsstätten, sindeinem Streite verfallen, der noch langehin ein heftiges Sträuben desmündig gewordenen Volkes gegen jeden fühlbaren Zwang erhalten wird. Waskann daher willkommener sein, als die sanfte Gewalt der Künste, die esallein vermag, die Gemüther zu beschwichtigen, in rein menschlichemAntheil die Herzen[8] aller Parteien zu vereinigen, durch unmerklichenZwang wieder Achtung vor Sitte, Friede und stillem Glück zu verbreiten,auf diesem heitren Wege die Geister wieder den strengenErziehungsstätten zuzuführen und der großen, gemeinsamen Begeisterungfür eine neue, edle Freiheit des Völkerlebens den höchsten Schwung undden schönsten Ausdruck zu verleihen!
Ueberall muß es daher als ein Zeugniß sorgsamer Staatsweisheit anerkanntwerden, wo die Organisation des Kunsteinflusses auf das Volksleben vonder Landesregierung in thätigen Angriff genommen wird.
Daß unter allen Künsten keine von so allgemeiner und volksthümlicherWirkung ist, als die Schauspielkunst, bedarf hier keiner Beweisführung,die tägliche Erfahrung liefert sie. Keine Kunst wird also in dem Maßedie Aufmerksamkeit der Staatsgewalt verdienen, so wie keine einerOrganisation so dringend bedürftig ist, welche sie mit allen anderenhöheren Culturmitteln des Staates in Uebereinstimmung setzt, als dieSchauspielkunst.
Faßt man ihre rein künstlerische Wichtigkeit in's Auge, so drängt sichals ihre wesentliche Eigenheit hervor: daß sie alle übrigen Künsteumfaßt; sie erhebt sich[9]auf allen anderen und wird so zur Spitzeder Pyramide; sie ist die Kunst der Künste.
Plastik, Malerei, Dichtkunst, Musik, Redekunst, Mimik und Tanzkunstsammelt sie in den gewaltigen Brennpunkt unmittelbaren Lebens, unddieser trifft in eine versammelte Menge, wo die Gemeinsamkeit desAntheils das Feuer des Enthusiasmus um so mächtiger entzündet.Wenngleich daher die schon vollendeten Werke der übrigen Künste, welcheder Schauspielkunst zum Stoffe dienen, dabei an ihrer Selbständigkeiteinbüßen müssen, so macht dennoch keine Kunst für sich schlagendereWirkungen, als von der Bühne herab.
Wie dringend nothwendig ist es also, daß die Schauspielkunst endlich inden Kreis der akademischen Bildung aufgenommen werde, damit ihredrastischen Wirkungen eine grundsätzliche Uebereinstimmung mit denübrigen Künsten gewinnen!
Die Bühne vermag den Schönheitssinn, des Volkes sowohl als der Künstler,in die größte Verwirrung zu bringen, sie ve