Eine Erzählung
von
Carl Sternheim
Kurt Wolff Verlag, Leipzig
1918
Bücherei „Der jüngste Tag“ Band 50
Druck der Spamerschen Buchdruckerei, Leipzig
Copyright Kurt Wolff Verlag, Leipzig, 1917
Ulrikes beflaggtes Elternhaus, Schloß Miltitz,stand unter Föhren in einem Blachfeld derUckermark. Trat von der Anfahrt und geharktenWegen man zur Seite, sank der Fuß durch Sandauf Grund. Manchmal stak eine Stange, saß woein Rabe im Park; sonst war Acker. Latten fehltenBänken, Rabatten das Mittelstück. Am Hausdes ersten Stockes viertem Fenster eine Scheibe.
Von Blei schien meist der Himmel. BlaueFahnen klafften kaum hinein, häufig aber strichRegen schräg und mengte aus Erde klebriges Gelb,durch das ein Wagen sich vors Haustor wälzte.
In das trat Paschke, der Diener, stracks und gaballem, was ankam, den Arm. Die Kinder warf erwie Bälle zum Flur, wo Graf Bolz, der Vater, mitdröhnendem Willkomm empfing. Aller MahlzeitBeginn und Schluß hieß Gebet. Brot, Schwein undKartoffel lagen inmitten. Das und die Familiewar protestantisch. Preuße der liebe Gott.
Evangelisch war Magd, Knecht und Vieh undalles sehr in den Herrn gekehrt. Über der Gemüterfader Landschaft lag in Kindern und Gesindedes Hausherrn Zufriedenheit als Licht, wieSturm und Gewitter sein Unwille. Auf seinePerson war alles Begreifen gedrillt, der HosenSitz, des Bartes Schmiß früh allemal Symbol.
Ulrike von Bolz sah in des Vaters Blick undwar mit Ruck ein Bündel Angst. In Gewohnheitenund Erfordernisse tauchte sie, ohne denSinn zu wissen. Wuchs als Teil eines Ganzen,das Bolz hieß und Rang vor der Umwelt hatte.In der es Bolzburg, Bolzmühle, Bolzweg gab, undbürgerliche Bolze durch alle Dörfer balgten. Hierlebte aus dem Geschlecht ein Sproß, ohne sichweitläufig zurechtfinden zu sollen. Denn überallging durch Mensch und Landschaft seine Blutspur,und am besten lief wie der windende Hunder der Nase nach.
So machte an Ulrike sich alles selbst. ZumKnie wuchs der Rock, zur Wade, zum Schuh.Haar floß in längerem Blond, Brust sprang zuKugeln vor, und es rundeten sich mählich dieBeine. Sie reichte dem Obst in die Äste undmußte, es zu pflücken, nicht mehr klettern. SechzehnJahr war sie alt und wußte nicht, wie sie’sgeworden.
Pastor Brand blieb tabakbestäubt, kalt feiertagsdie Kirche, im Saal des Harmoniums F imDiskant verstimmt. Und immer noch schwangder Graf, war er mißlaunt, die Hand der Tochterum die Löffel. Nur überm Knie hatte sie ihmletzthin nicht gelegen und seine Faust nicht aufsich gefühlt. Doch konnte das stündlich wiederkommen.
Im Stall führte sie der Kühe Melkung. Morgensum fünf, schlief sie noch halb, sprang dasLitermaß ihr ins Bewußtsein. Wie oft würdesich’s heut unter den Eutern füllen? Würdetrocken die Spreu, Rübe verdaulich und warm,mehlig und schmackhaft die Kleie sein? ObHände, Schleuder und Buttermaschine die Mägdegespült haben möchten, und durch Klee und Luzernedie Tiere nicht im Pansen gebläht wären,daß, ehe der Vater vom Gräßlichen wußte, mitdem Trokar sie das Schlimmste Verhüten müßte.
Auch die Hühner waren