Die Übertragung des Romans MadameBovary aus dem Französischen besorgte ArthurSchurig.
Insel-Verlag zu Leipzig
Es war Arbeitsstunde. Da trat der Rektor ein, ihm zur Seite ein„Neuer“, in gewöhnlichem Anzuge. Der Pedell hinterden beiden, Schulstubengerät in den Händen. AlleSchüler erhoben sich von ihren Plätzen, wobei man so tat,als sei man aus seinen Studien aufgescheucht worden. Wer eingenicktwar, fuhr mit auf.
Der Rektor winkte ab. Man setzte sich wieder hin. Darauf wandte ersich zu dem die Aufsicht führenden Lehrer.
„Herr Roger!“ lispelte er. „Diesen neuenZögling hier empfehle ich Ihnen besonders. Er kommtzunächst in die Quinta. Bei löblichem Fleiß undBetragen wird er aber in die Quarta versetzt, in die er seinem Alternach gehört.“
Der Neuling blieb in dem Winkel hinter der Türe stehen. Mankonnte ihn nicht ordentlich sehen, aber offenbar war er einBauernjunge, so ungefähr fünfzehn Jahre alt undgrößer als alle andern. Die Haare trug er mitSimpelfransen in die Stirn hinein, wie ein Dorfschulmeister. Sonstsah er gar nicht dumm aus, nur war er höchst verlegen. Soschmächtig er war, beengte ihn sein grüner Tuchrock mitschwarzen Knöpfen doch sichtlich, und durch den Schlitz in denÄrmelaufschlägen schimmerten rote Handgelenke hervor, diezweifellos die freie Luft gewöhnt waren. Er hatte gelbbraune,durch die Träger übermäßig hochgezogene Hosen anund blaue Strümpfe. Seine Stiefel waren derb, schlecht gewichstund mit Nägeln beschlagen.
Man begann die fertigen Arbeiten vorzulesen. Der Neuling hörteaufmerksamst zu, mit wahrer Kirchenandacht, wobei er es nicht einmalwagte, die Beine übereinander zu schlagen noch den Ellenbogenaufzustützen. Um zwei Uhr, als die Schulglocke läutete,mußte ihn der Lehrer erst besonders auffordern, ehe er sich denandern anschloß.
Es war in der Klasse Sitte, beim Eintritt in das Unterrichtszimmerdie Mützen wegzuschleudern, um die Hände frei zu bekommen.Es kam darauf an, seine Mütze gleich von der Tür aus unterdie richtige Bank zu facken, wobei sie unter einer tüchtigenStaubwolke laut aufklatschte. Das war so Schuljungenart.
Sei es nun, daß ihm dieses Verfahren entgangen war oderdaß er nicht gewagt hatte, es ebenso zu machen, kurz und gut:als das Gebet zu Ende war, hatte der Neuling seine Mütze nochimmer vor sich auf den Knien. Das war ein wahrer Wechselbalg vonKopfbedeckung. Bestandteile von ihr erinnerten an eineBärenmütze, andre an eine Tschapka, wieder andre an einenrunden Filzhut, an ein Pelzbarett, an ein wollnes Käppi, miteinem Worte: an allerlei armselige Dinge, deren stummeHäßlichkeit tiefsinnig stimmt wie das Gesicht einesBlödsinnigen. Sie war eiförmig, und Fischbeinstäbchenverliehen ihr den inneren Halt; zu unterst sah man drei rundeWülste, darüber (voneinander durch ein rotes Band getrennt)Rauten aus Samt und Kaninchenfell und zu oberst eine Art Sack, denein vieleckiger Pappdeckel mit kunterbunter Schnurenstickereikrönte und von dem herab an einem ziemlich dünnen Fadeneine kleine goldne Troddel hing. Diese Kopfbedeckung war neu, was manam Glanze des Schirmes erkennen konnte.
„Steh auf!“ befahl der Lehrer.
Der Junge erhob sich. Dabei entglitt ihm sein Turban, und die ganzeKlasse fing an zu kichern. Er bückte sich, dasMützenungetüm aufzuheben. Ein Nachbar stieß mit demEllenbogen daran, so daß es wiederum zu Boden fiel. Einabermaliges Sich-darnach-bücken.
„Leg doch deinen Helm weg!“ sagte der Lehrer, einWitzbold.
Das schallende Gelächter der Schü