ROMAIN ROLLAND
EINE ERZÄHLUNG
MIT SECHZEHN HOLZSCHNITTEN
VON FRANS MASEREEL
MÜNCHEN
KURT WOLFF VERLAG
Einzig berechtigte Übertragung von
Paul Amann
Copyright 1921 by Kurt Wolff Verlag A.-G., München
Printed in Germany
Thaliae Amicae
Die Erzählung
umfaßt den Zeitraum vom 30. Januar 1918
(Mittwochabend) bis zum Karfreitag
desselben Jahres (29. März)
Peter versank in die Tiefe derUntergrundbahn. Rohe, fiebrig erregteMenge. In einen Block von Menschenleiberneingekeilt, atmete er die schwereLuft, die durch aller Lungen ging; erstand dicht bei der Waggontüre; blickloswaren seine Augen zur schwarzen,dröhnenden Tunnelwölbung gekehrt,unter der die grellblanken Pupillen desZuges hinglitten. In Peters Innernprallte auch so eine harte, zuckendeHelligkeit an schwere Finsternis. Ermeinte unter seinem hochgeschlagenenWinterrockkragen zu ersticken; dieArme drückte er dicht an den Leib undhielt die Lippen krampfhaft geschlossen;seine schweißfeuchte Stirn trafeneisige Schauer, wenn bei aufgerissenerTüre ein Hauch von draußen eindrang;in dieser Lage wollte er am liebsten nichtmehr atmen, nicht mehr denken, nichtmehr leben. Das Gemüt des Achtzehnjährigen— fast schien er noch ein Kind —war voll dumpfer Verzweiflung. Daoben über ihm, über dieser finsterenWölbung, über diesem Rattengang,durch den das metallene Ungetüm vollgespenstigen Menschengekribbels dahinschoß— da oben war Paris, war derSchnee, die kalte Januarnacht, der Alpdruckdes Lebens und des Sterbens —war der Krieg.
Der Krieg. Seit vier Jahren war er da,hatte sich ins Leben eingefressen. Mitseiner ganzen Schwere hatte er auf PetersJugend gelastet. Er hatte den Jünglinggerade in der entscheidenden Epocheüberfallen, da er durch die Unrasterwachender Sinne erschüttert, tierhafter,blinder, zermalmender Kräfte gewahrwird, der Kräfte des Lebens; desLebens, das er doch gar nicht verlangthat. Ist nun so ein Junge, wie es Peterwar, von Haus aus zart, ist sein Gemütso weich und sein Leib so schmächtig,dann packt ihn — ohne daß er sich traut,es wem einzugestehen — ein Ekel, einGrauen vor dem Schmutz, vor der Gemeinheit,vor dem Blödsinn dieser ewigzeugenden, ewig verschlingenden Natur— vor dieser werfenden Sau, die ihreJungen frißt . . . In jedem jungen Menschenzwischen dem sechzehnten unddem achtzehnten Lebensjahre regt sichetwas von Hamlets Seele. Wie kannman von ihm Verständnis für den Kriegverlangen! (Eure Sache, Ihr gesetztenMänner!) Er hat schon daran geradegenug, das Leben zu verstehen — undihm zu verzeihen. Gewöhnlich verkriechter sich in ein Traumland undins Reich der Kunst, bis er sich mit derTatsache seiner Fleischwerdung abgefundenhat, der gefährliche Übergangszustan