Erster Band
Ein vollständiges Verzeichnis der Schriften
Max Dauthendeys
findet man am Schlusse des Bandes
Max Dauthendey
Gedankengut
aus meinen Wanderjahren
Erster Band
Albert Langen, München
Copyright 1913 by Albert Langen, Munich
Vor ein paar Tagen sagte ich zu meiner Frau:„Ich fühle noch nicht die nötige Andachtzu dem neuen Buche, das ich schreiben will.“
Und während ich dies sagte, erinnerte ich mich dabeian jene japanische Dichterin, die, um die nötigeWeihe für ein großes Werk zu empfangen, sich ineinen Tempel einschließen ließ und nachts in demeinsamen Tempelraum auf dem Deckel eines Gebetbuchesdie Niederschrift ihrer dichterischen Eingebungenbegann.
Der deutsche Übersetzer ihres Buches, der diesenVorfall in der Einleitung berichtet, fügte hinzu:„Wo wäre heutzutage in Europa der Dichter zufinden, der eine ähnliche Vorbereitung für ein Buchnötig fände?“
Wie wenig kannte doch der Mann die Dichterherzenaller Zeiten!
Wo große Werke entstanden, sind auch dieMänner, die diese schufen, immer mit herzklopfenderAndacht an ihr Schaffen herangetreten.
Wenn sich die Dichter auch nicht in die Sakristeiender Kirchen zurückgezogen haben, so ist doch immerjeder ihrer geistigen und ernsten Arbeiten eine seelischeund körperliche Kasteiung vorausgegangen.
Jeder künstlerische Schöpfungsakt wird durchEntsagungsakte vorbereitet. Der Beispiele sind viele, und wer die Geschichte der Zeiten verfolgt, wirdimmer wieder auf diese Vorbereitungen stoßen, Vorbereitungenvoll innerster Andacht, die jedem bleibendenWerk vorangehen müssen.
Als ich nun meiner Frau neulich gestehen mußte,daß ich mich noch nicht andächtig genug fühle, dasneue Buch zu beginnen, das meine Kameraden undmich in der Zeit der neunziger Jahre (1890–1900)in unseren Begegnungen und im Ringen um neueIdeale schildern soll, und als ich sagte, daß ich nochnicht die Weihe zur Mitteilung dieses Lebensabschnitteshätte — dessen Aufzeichnungen eine Art Fortsetzungmeines letzten Buches „der Geist meinesVaters“ werden sollten —, da ahnte ich in meinerNiedergeschlagenheit nicht, auf welche seltsame Weisemir mein Schicksal die Weihe zu dieser Arbeit erteilenwürde.
Seit zwei Jahren ungefähr trage ich den Wunsch,dieses Buch zu schreiben, mit mir herum.
Seit das erste Jahrzehnt unseres neuen Jahrhundertsvollendet war und ich bei mir bemerkte, wieschnell wir uns von einem vergangenen Jahrhundertentfernen, und wie viele Lebensäußerungen in dieVergessenheit sinken und verloren gehen können, wennsie nicht in schriftlicher Erinnerung aufgespeichertund damit der Nachwelt wieder zugänglich gemachtwerden, — seit ich also wahrnahm, daß auch dasletzte Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts bereitsin meiner Erinnerung zu verblassen begann,drängte es mich, das starke Dichterleben dieser neunzigerJahre, das reich an neuen Idealen, reich an<