Anmerkungen zur Transkription
Im Original gesperrter Text ist so ausgezeichnet.
Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich amEnde des Buches.
Erzählung
von
Björnstjerne Björnson
Im Insel-Verlag zu Leipzig
In einem weiten Tal findet man zuweilen eine nach allenSeiten hin freiliegende Erhöhung, auf die die Sonne ihreStrahlen vom Aufgang bis zum Untergang hinabsendet. Und die,die hart am Fuße der Berge wohnen und weniger Sonne haben,nennen eine solche Stelle einen Sonnenhügel. Die, von der hiererzählt werden soll, wohnte auf einem solchen, von dem auch derHof seinen Namen erhalten hatte. Dort blieb der Schnee zuletztliegen im Herbst, dort schmolz er auch im Frühling zuerst wieder.
Die Besitzer des Hofes waren Haugianer und wurden Leser genannt,weil sie eifriger in der Bibel lasen als alle andern Leute.Der Mann hieß Guttorm und die Frau Karen; sie bekamen einenKnaben, der wieder starb, und drei Jahre lang kamen sie nicht andie Ostseite der Kirche. Nach dieser Zeit bekamen sie ein Mädchen,das sie nach dem Knaben nannten; er hatte Syvert geheißen, undsie wurde Synnöv getauft, da sie nichts Näherliegendes fanden.Die Mutter aber nannte sie Synnöve, weil sie, solange das Kindklein war, die Gewohnheit hatte, »mein« hinten an den Namenanzuhängen, und meinte, daß es so leichter auszusprechen sei. Wiees nun auch sein mochte: als das Mädchen größer wurde, nanntensie alle Synnöve wie die Mutter, und die meisten sagten, seitMenschengedenken sei im ganzen Kirchspiel kein so schönes Mädchenherangewachsen wie Synnöve Solbakken1. Sie war noch ganzklein, als die Eltern sie an jedem Sonntag, wo gepredigt wurde,mit in die Kirche nahmen, obwohl Synnöve anfangs nichts weiterbegriff, als daß der Pfarrer dastand und den Zuchthaus-Bert ausschalt,den sie gerade unter der Kanzel sitzen sah. Der Vater aberwollte, daß sie mitgehn sollte, »um sich zu gewöhnen«, wieer sagte; und die Mutter wollte es auch, »da man ja nichtwissen konnte, ob daheim jemand acht auf sie gebe«. War aufdem Hofe ein Lamm, ein Zicklein oder ein kleines Ferkel, dasnicht gedeihen wollte, oder eine Kuh, der etwas fehlte, so4ward das betreffende Tier immer Synnöve zu eigen gegeben,und die Mutter wollte wissen, daß es sich von der Stunde an erhole;der Vater glaubte nicht so recht, daß es daher käme, aber»es war ja einerlei, wem von ihnen das Vieh gehörte, wenn esnur gedieh«.
Jenseits des Tals und hart am Fuße des hohen Berges lag einHof, der Granliden hieß, weil er mitten in einem großen Tannenwaldelag, dem einzigen in weitem Umkreise. Der Urgroßvaterdes Besitzers war mit unter denen gewesen, die in Holstein gelegenund auf die Russen gewartet hatten, und von diesem Zugehatte er viele fremde und merkwürdige Sämereien in seinem Tornistermit heimgebracht. Die hatte er rings um seine Hofgebäudegepflanzt; im Laufe der Zeiten war aber eine Pflanze nach derandern ausgegangen, nur einige Tannenzapfen, die merkwürdigerweisedazwischengekommen waren, waren zu einem dichten Waldeherangewachsen und beschatteten nun die Gebäude von allenSeiten. Der Holsteinfahrer hatte nach seinem Großvater Thorbjörngeheißen, sein ältester Sohn nach