Die
Bibliothek meines Oheims.

Eine Genfer Novelle.


Von
Rudolf Töpffer.


Vollständige Deutsche Ausgabe,
mit 137 Bildern von der Hand des Verfassers.

Leipzig:
Brockhaus & Avenarius.
1847.

 

Inhalt.

Seite
I.Die beiden Gefangenen   3
II.Die Bibliothek105
III.Henriette171

I.
Die beiden Gefangenen.

Ich habe Leute kennen gelernt, die an der Schwelle desväterlichen Kramladens groß geworden sind. Dieselbenhatten sich in dieser Lebensweise eine gewisse praktische Menschenkenntniß erworben, und so eine Art spießbürgerlichenSinn, einen Philistergeschmack, eine Gewöhnlichkeitder Ansichten bei kleinstädtischer Engherzigkeit und Vorurtheilen.Man machte sie zu Advokaten, Beamten, undjeder übertrug denn von seiner Ladenschwelle weg guteoder schlechte Eindrücke, die sich nie verwischten, in dieseseine Wirkungskreise.

Andere saßen dieselbe Lebenszeit, ich will sagen etwaums funfzehnte Jahr, in einem einsamen Kämmerleinunterm Dache, über stillem Hofe. Die wurden nachdenklicheLeute, und – wie wenig sie mit den Straßenneuigkeitenbekannt waren – ein kleiner Kreis vonNachbarn genügte ihnen, reiche Beobachtungen über diesefür sich anzustellen. Sie erwarben sich eine zwar minderausgebreitete, dafür aber desto innerlichere Menschenkenntniß.Wie manche Zeit verbrachten sie, fern von jederZerstreuung, mit sich selbst, während jene Ersteren aufihrer Ladenschwelle immer von neuen Gegenständen angezogenwurden und so weder Zeit noch Lust bekamen, eineBekanntschaft ihres eigenen Innern zu machen. Ob Advokatoder Minister, muß nicht der Mann aus dem Dachstübchenandere Weisen haben, als der von Vaters Thüre!

Oder hätte das etwa keinen Einfluß, was einem vorAugen geschieht? und die Leute, die um einen herumlaufen,und das Gerede, das man hört, und die düsterenoder aufheiternden Gegenstände, die man sieht, und dieNachbarschaft und all die tausend Zufälligkeiten? Fürwahr!es ist ein eigen Ding um die Erziehung! Indeß Ihr mit klarem Bewußtsein nach den Rathschlägen einesFreundes oder Buchs Geist und Herz Eures Kindes zudem von Euch erwünschten Ziele zu lenken sucht, kommenDinge, Gerede, Nachbarn, Zufälligkeiten und verschwörensich gegen Euch oder helfen auch wol nach, ohne daßihr Einfluß zu verhindern oder nur zu entbehren wäre.

Später endlich, wenn's so über zwanzig, fünfundzwanzigJahre kommt, thut der Einfluß der Wohnungwenig mehr. Mag dieselbe düster oder heiter, bequem oderärmlich sein: sie gleicht einer Schule, worin der Unterrichtgeschlossen ist. In diesem Alter baut der Menschseine Lebensbahn; er ist bereits vor jener, die Zukunfteinschließenden Wolke angelangt, die ihm eben noch sofern erschien; sei

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