RABINDRANATH TAGORE
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EIN SPIEL
IN EINEM AUFZUG
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KURT WOLFF VERLAG
LEIPZIG
Einbandzeichnung von Walter Tiemann.
Dritte unveränderte Auflage 1918.
Die erste Auflage erschien 1914.
Berechtigte deutsche Übertragung von
ELISABETH WOLFF-MERCK
nach der von Rabindranath Tagore selbst
veranstalteten englischen Ausgabe
Dieses lyrische Drama wurde vor ungefähr 25 Jahren geschrieben. Es setztdie Kenntnis der hier folgenden Fabel aus dem Mahabharata voraus:
Während der Wanderungen, die Arjunain Erfüllung eines Bußgelübdes unternahm, kam er nach Manipur. Dort saher Chitrāngadā, die schöne Tochter von Chitravāhana, dem König des Landes,und von ihrer Anmut überwältigt, bat er den König um ihre Hand. Chitravāhanafragte ihn nach seiner Herkunft. Auf die Antwort, er sei Arjuna der Pandara, erzählteder König ihm, daß einer seiner Ahnen, Prabhanjana vom königlichenStamme von Manipur, lange kinderlos geblieben war. Um einen Erben zu erhalten, legte er sich strenge Bußübungen auf. DieStrenge seines Lebens fand Gnade vor Shiva, und der Gott gewährte ihm undjedem seiner Nachkommen ein Kind.
Es geschah aber, daß das versprochene Kind stets ein Knabe war. Er, Chitravāhana,war der Erste, dem nur eine Tochter, Chitrāngadā, gewährt war, um das Geschlecht zu erhalten.
Er hatte sie deshalb stets wie einen Sohn gehalten und zu seinem Erben gemacht. —
Der König fährt in der Erzählung fort:»Der einzige Sohn, den sie gebären wird, muß der Erhalter meines Geschlechtssein, und diesen Sohn verlange ich als Kaufpreis für die Einwilligung in die Heirat. Wenn du willst, kannst du sie unter dieser Bedingung haben.« Arjuna gab dasVersprechen, nahm Chitrāngadā zum Weibe und lebte mit ihr drei Jahre in ihresVaters Hauptstadt. Als ihnen ein Sohn geboren wurde, umarmte er sie liebevoll,nahm Abschied von ihr und ihrem Vater und setzte seine Wanderung fort.
Götter:
Madana (Eros).
Vasanta (Lycoris).
Sterbliche:
Chitra, Tochter des Königs von Manipur.
Arjuna, ein Prinz aus dem Hause der Kuru. Er ist aus der Kshatriya oderKriegerkaste und lebt während der Handlung als Eremit einsam im Wald.
Dorfleute aus einer abgelegenen Gegend in Manipur.
IM TEMPEL
Chitra
Bist Du der Gott mit den fünf Pfeilen,der Gott der Liebe?
Madana
Ich war der Erstgeborene im Herzen des Schöpfers. Ich binde mit Fesseln desSchmerzes und erfülle mit Seligkeit das Leben der Menschen!
Chitra