Kasimir Edschmid

Die Engel mit dem Spleen

Mit Steinzeichnungen
von
Robert Genin

Hans Heinrich Tillgner Verlag
Berlin 1923

Copyright 1923 by Hans Heinrich Tillgner Verlag in Berlin

Die Engel mit dem Spleen

Ich warne unbefangene Leute, sich in diese Geschichte einzulassen,die sich aus Kriminalitäten und Unwahrscheinlichkeiten zusammensetztund vielleicht nicht einmal zeitgemäß scheint. Es werdenin ihr die Menschen weder verdorben noch zu jenen dekorativenLäuterungen aufgerufen, mit denen der dichtende Schwert-Adelheute seine Unvollkommenheit zu echter Männlichkeit behängt.Man wird die Bürger darin am Leben gelassen und die Arbeiternicht mit Verbeugungen bedacht finden und weder um Generälenoch um Kapitäne der Kohle jenes Wesen gemacht sehen, dasnicht ihnen, sondern der Geschichte zukommt.

Man wird eine lächerlich phantastische Angelegenheit hinzunehmenhaben, die vielleicht nicht einmal gut erzählt ist, weil sie desNachts statt in einem Eisenbahnabteil in einer abscheulichen Landkutscheerzählt wurde, die zu heftig nach Apfelsinen und Zigarettenroch, um nicht Kopfschmerzen zu machen. Ich klage den Chef derBahnen nicht an, daß unser Jahrhundert zerrüttet ist, vielmehrversuche ich für den Leser die Verbindung zu einer Zeit herzustellen,wo die Launen der Menschen noch stichhaltigere Werte waren wieheute ihre Verzweiflung. Man wird gewiß heute einen Mord ebensozu kaufen bekommen wie eine verbotene Banknote, aber der Hungerund die Geschäfte der Börse werden die Erinnerung daran zerstörthaben, daß es Zeiten gab, die so unmenschlich vollendet schienen,daß es Genies bedurfte, um sich jene Anregungen der Herzen zuverschaffen, die man Leidenschaften heißt.

Sie sind billig wie die Äpfel geworden und nichts erscheint heuteim neunten Jahr des Dreißigjährigen Krieges, den die HerrenCreusot und Stinnes, oder wie ihre Nachfolger heißen werden, sichliefern, um die lothringischen Erze zum Ruhrkoks oder den Ruhrkokszu den lothringischen Erzen zu bringen, nichts scheintbewunderswerter als ein kaltes Herz.

Diese Geschichte in der Tat, welche aus der mathematischenSicherheit eines Zeitalters hinausführt, von dem uns erst zehn Jahrezu trennen scheinen, das uns aber legendär wie ein Roman Jules Verneserscheinen will, hat die fatale Absicht, sich in Gegenden zu verirren,die heute an der Tagesordnung, früher kaum in Romanen sichtbarwaren. Ich fürchte, man wird mit phantastischen Darstellungenlangweilen oder sich stets dann lächerlich machen, wenn die Gegenwartdie unglaubhafteste Phantasie selbst ist.

Ohne Zweifel wäre es richtiger, nur engelhafte Wesen in dieserZeit darzustellen, wo Frauen uns dadurch entwürdigt werden, daß wirsie bei allen jenen abscheulichen Maschinen an die Arbeit geschmiedetfinden, die das letzte Jahrhundert zu erfinden die Bosheit hatte,und daß wir kaum erschrecken, wenn wir sie mit den Wahlzettelnin der Hand auf dem Weg finden, unsere Schicksale, den Staat,

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